Bis 2030 will Aldi Süd bei Frischfleisch auf Haltungsform 3 und höher umstellen. Bisher wurde in den Kühlregalen nach Tierart sortiert. Nun ist man der Meinung, dass eine Sortierung nach Haltungsform mehr Orientierung bietet und die Transformation vorantreibt.
top agrar hat mit Dr. Julia Adou, der bei Aldi Süd verantwortlichen Direktorin für Nachhaltigkeit, in einer Filiale in Köln-Ehrenfeld über die Aldi-Süd-Strategie gesprochen.
Frau Dr. Adou, Sie wollen das Frischfleisch anders sortieren. Was genau ändern Sie?
Adou: Unsere Frischfleischkühlung wird ab sofort nicht mehr – wie im Lebensmittelhandel üblich – nach Tierart, sondern nach Haltungsform angeordnet. Künftig gibt es dann drei Bereiche:
• Produkte aus konventioneller Haltung (Haltungsform 1 und 2) sind im blauen Bereich zu finden.
• Produkte aus höheren Haltungsformen (Haltungsform 3, 4 und 5) sowie Hackfleisch befinden sich im grünen Bereich.
• Aktuelle Angebote aus der Frischfleischkühlung sind in der klassischen Angebotsfarbe Rot zu finden.
Bis Mitte Juli werden wir alle rund 2.000 Filialen, bis auf einige wenige umgebaut haben.
Wo sehen Sie die Vorteile der neuen Sortierung?
Adou: Verbraucherinnen und Verbraucher können sich beim Einkauf besser an der Haltungskennzeichnung orientieren. Die farbliche Sortierung (Blau, Grün, Rot) schafft Transparenz und soll helfen, den Umstieg auf Tierwohlprodukte weiter voranzutreiben und die Kundenführung am Regal zu vereinfachen.
Der Trend zu mehr Tierwohlprodukten ist ungebrochen. Das zeigen unsere Umsatzzahlen.
Sind Sie denn nicht zufrieden mit den Fortschritten bei der Umstellung auf höhere Stufen?
Adou: Die Nachfrage der ALDI SÜD-Kunden nach Tierwohlprodukten und Bio aus den höheren Haltungsformen ist ungebrochen und steigt kontinuierlich an. Das belegen sowohl die Umsatzzahlen als auch die Tatsache, dass wir bei ALDI-SÜD seit Januar keine Wurstprodukte mehr aus Haltungsform 1 anbieten. Bereits heute hat ALDI SÜD die Eigenmarken Trinkmilch, das Putenfrischfleisch und das Rindfrischfleisch vollständig auf die höheren Haltungsformen 3, 4 und 5 umgestellt. Zudem haben wir bereits heute das Frischfleisch insgesamt auf 50 % und die gekühlten Fleisch- und Wurstwaren zu 33 % auf die höheren Haltungsformen umgestellt. Das Ziel, bis 2030 auch den Rest umzustellen, steht!
Wenn es so gut läuft, warum ändern Sie überhaupt etwas?
Adou: Wir wollen unseren Kunden ermöglichen, die Produkte aus den höheren Haltungsformen noch einfacher und auf den ersten Blick zu finden. Laut Initiative Tierwohl (ITW) achten 80 % der Verbraucher bewusst auf die Kennzeichnung. Zudem beobachten wir eine steigende Zahl an Kunden, die gezielt Tierwohl und Bio bevorzugen. Dennoch braucht es Zeit, bis solche Kennzeichnungen vollständig verstanden werden. Eine vereinfachte Regalstruktur sehen wir daher als zusätzlichen Mehrwert.
Was spricht dafür, dass Verbraucher ihr Kaufverhalten ändern, nur weil die Produkte anders einsortiert sind? Gibt es Vorbilder aus anderen Bereichen oder im Ausland, wo das funktioniert?
Adou: Soweit ich weiß, gibt es keine Vorbilder für unser Konzept, auch nicht im Ausland. Wir haben mit allen Beteiligten aus Marketing, Einkauf, Verkauf und der Nachhaltigkeitsabteilung überlegt, wie wir noch deutlicher machen können, wohin für uns als ALDI SÜD der Weg geht. Wie die Effekte konkret sein werden, ist letztlich aber offen. Auch deshalb freut es uns, dass die Universität Bonn die Umstellung mit einer unabhängigen wissenschaftlichen Studie begleitet. Die Ergebnisse der Forschungsgruppe für Agrar- und Ernährungswirtschaft unterstützen uns dabei, die Effekte noch genauer zu analysieren. Die Kernfrage lautet: Inwieweit lassen sich Verbraucherinnen und Verbraucher durch Transparenz bei ihrer Kaufentscheidung lenken?
Wir haben in den höheren Haltungsformen das beste Preis-Leistungs-Verhältnis, sodass mehr Kunden zu Tierwohl oder Bio greifen.
Der deutsche Verbraucher ist preissensibel. Besteht das Risiko, dass die Kunden jetzt noch schneller die günstigeren Produkte im blauen Bereich (HF1/HF2) ansteuern? Dann ginge der Schuss für Sie nach hinten los!
Adou: Als Discounter machen wir grundsätzlich das Versprechen eines bestmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnisses. Deshalb gehen wir davon aus, dass unsere Kunden so oder so preisbewusst sind. Wenn wir auch in den höheren Haltungsformen das beste Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten, stellen wir fest, dass es immer mehr Kunden gibt, die ganz explizit auf Tierwohl und Bio achten. Und ihnen dieses bewusste Einkaufen zum günstigen Preis zu ermöglichen, ist eine schöne Synergie.
Sie sagen, dass auch Fleisch aus höheren Haltungsformen möglichst preiswert angeboten werden soll. Den Landwirten wird dieser Preisdruck nicht gefallen. Wie sehen Sie das?
Adou: ALDI SÜD möchte Fleisch aus höheren Haltungsformen zu einem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten und gleichzeitig die deutsche Landwirtschaft und ihre Leistung würdigen. Für uns ist ganz klar, dass es die Tierwohlprodukte nicht zum Preis der klassisch konventionellen Ware gibt. Dazu setzen wir auf langfristige Verträge mit Schlachtunternehmen, Verarbeitern und Molkereien. Diese werden an die Landwirtschaft weitergegeben und schaffen Planungssicherheit und ermöglichen Investitionen in eine tiergerechtere Haltung. Auch wenn wir keine direkten Verträge mit Landwirten abschließen, können wir durch eine transparente Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette doch für einen Ausgleich sorgen. Wir brauchen jedoch auch die Politik, die klare, langfristige Finanzierungspakete bereitstellt.
Was war die größte Herausforderung bei der Umstellung von der alten auf die neue Sortierung? Brauchen Sie jetzt mehr Platz?
Adou: Die größte Herausforderung war eine praktikable Regalaufteilung. Je nach Filiale kann die Kühlung unterschiedlich lang sein. Es war also schwierig, ein Modell zu finden, das überall funktioniert. Ansonsten war es vor allem auch viel Planung: Wie viel Platz brauchen wir je Farbgruppe, wie machen wir die Einteilung, wie rollen wir das Ganze aus usw.
Und wie viel Platz nehmen die Waren aus dem blauen, grünen und roten Bereich prozentual ein?
Adou: Der grüne Tierwohlbereich mit den Haltungsformen 3 und höher ist in den meisten Filialen der größte und wird entsprechend unseres Haltungswechsels weiter wachsen. Das Ziel ist es, dass das blaue Regal bis 2030 komplett auf grün ausgeweitet werden kann.
Warum ist denn bei der Planung das Hackfleisch grundsätzlich in den grünen Regalbereich gelandet. Hackfleisch aus HF1 oder HF2 liegt somit im falschen Kühlregal? Ist das nicht verwirrend?
Adou: Das hat einen ganz praktischen Grund: Der blaue Bereich ist eine andere Kühlzone als der grüne Bereich. Hackfleisch muss per Gesetz bei maximal zwei Grad gelagert werden und damit kühler als das übrige Frischfleisch. Wir würden die Energiekosten in die Höhe treiben, wenn wir jetzt den gesamten blauen Bereich auch kühler halten würden – nur wegen dieses einen Artikels. Das meiste Hackfleisch wird ohnehin schon in höheren Stufen vermarktet. Ich glaube nicht, dass das die Verbraucher irritiert. Auf dem Produkt ist die richtige Kennzeichnung ja transparent wiedergegeben. Unabhängig davon ist es unser Ziel, bis Ende 2025 keine Produkte mehr aus Haltungsform 1 anzubieten.