Was zunächst nach Einzelfällen aussah, entwickelt sich offenbar zu einem größeren Problem: Viele Schweinehalter in Niedersachsen sollen ihre Coronahilfen zurückzahlen. Bei top agrar haben sich in den vergangenen Wochen Dutzende Landwirte und Steuerberater gemeldet. Die Stimmung reicht von Schock über Verzweiflung bis hin zu Ratlosigkeit. Mehr dazu finden Sie auch hier: Coronahilfen für Schweinehalter: Landwirten drohen Rückforderungen in sechsstelliger Höhe | top agrar
Was Sie jetzt wissen müssen – und welche Rechte Sie haben – haben wir hier für Sie zusammengestellt.
Wer ist betroffen?
Aktuell betrifft es vor allem Schweinehalter in Niedersachsen. Dort hat die NBank, die für die Coronahilfen zuständig ist, mit der Prüfung der Schlussabrechnungen begonnen. In anderen Bundesländern steht dieser Schritt zum Teil noch aus.
Zum Hintergrund: Die Betriebe konnten damals ihre Umsatzeinbrüche oftmals nur schätzen, als Sie die Hilfen beantragt haben. Die für die Auszahlung der Gelder zuständigen Bundesländer gaben die Gelder daher unter Vorbehalt einer Nachprüfung anhand der tatsächlichen Zahlen frei. Bis Ende September 2024 hatten die betroffenen Landwirte Zeit, eine sogenannte Schlussabrechnung einzureichen, um zum Beispiel anhand der Buchführung, die Umsatzeinbrüche durch Corona mit Zahlen zu untermauern.
Warum werden Coronahilfen zurückgefordert?
Viele Betriebe in Niedersachsen erhielten sogenannte Überbrückungshilfen. Voraussetzung dafür ist laut NBank ein zu 100 % coronabedingter Umsatzeinbruch. Offensichtlich hat die NBank daran in einigen Fällen Zweifel. Wer auch auf Rückfragen der Bank diesen Nachweis nicht erbringen kann, muss das Geld ganz oder teilweise zurückzahlen.
Ein weiteres Problem: Die NBank verlangt eine individuelle Begründung, warum der Umsatz coronabedingt eingebrochen ist. Allgemeine Formulierungen oder Textbausteine von Verbänden reichen nicht aus. Auf Anfrage von top agrar erklärte die NBank: „Wenn in Schlussabrechnungen beispielsweise Punkte wie der Rückgang des Konsums von Schweinefleisch aufgezählt werden, ist das unserer Ansicht nach nicht stichhaltig.“
Zudem gibt es weitere Gründe für Rückforderungen – etwa weil die Fixkosten oder Umsatzrückgänge geringer waren als prognostiziert oder weil zusätzliche Leistungen aus anderen Corona-Hilfsprogrammen oder Versicherungen für denselben Zeitraum gewährt wurden.
Ich habe Härtefallhilfen erhalten. Bekomme ich jetzt auch Probleme?
Derzeit sind fast ausschließlich Betriebe mit Überbrückungshilfen betroffen, für die strenge Vorgaben gelten. Für Härtefallhilfen reicht ein „weit überwiegend“ coronabedingter Umsatzeinbruch aus (mindestens 90 %). Stellt sich aber bei der Schlussabrechnung heraus, dass Ihre damalige Prognose nicht eingetreten ist, kann auch hier eine Rückzahlung fällig werden.
Legt Niedersachsen die Regeln besonders streng aus?
Das lässt sich noch nicht eindeutig beantworten. Es deutet allerdings einiges darauf hin, das andere Länder die Vorgaben ähnlich auslegen bzw. anwenden. Auf Anfrage von top agrar heißt es beispielsweise im NRW-Wirtschaftsministerium: „Die Prüfung erfolgt nach den Maßgaben der veröffentlichten Förderrichtlinien. Ein Anspruch auf Überbrückungshilfe besteht nur, wenn der Umsatzeinbruch ausschließlich auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen ist. Für die Gewährung einer Härtefallhilfe ist ein weit überwiegend corona-bedingter Umsatzeinbruch erforderlich – das heißt, mindestens 90 % des Umsatzrückgangs müssen pandemiebedingt sein.“ Das ist exakt auch die Maßgabe, an die sich nach eigenen Angaben die NBank in Niedersachsen hält.
Was raten Juristen?
Juristen kritisieren die Rückforderungspraxis der NBank als nachträgliche Verschärfung der Bedingungen – und sehen darin einen möglichen Verstoß gegen den Vertrauensschutz. Zudem widerspreche die enge Auslegung den damaligen FAQ des Bundeswirtschaftsministeriums, die auch mittelbare Pandemiefolgen als förderfähig einstuften.
Die Empfehlungen der Anwälte:
Legen Sie innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheids Widerspruch ein.
Begründen Sie den Widerspruch individuell und sorgfältig – am besten mit juristischer Hilfe, möglichst von einem Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Es reichen auf keinen Fall Textbausteine der Verbände oder Verweise auf den allgemeinen Schweinepreisverfall. Sie sollten zusammen mit einem Experten stattdessen sehr genau auflisten: Wie viele Tiere haben Sie im betroffenen Zeitraum verkauft? Welche Probleme gab es wegen Corona in Ihren Schlachthöfen? Wie hat sich Ihr konkreter Auszahlungspreis entwickelt? Mussten Sie Tiere länger mästen? Wenn ja, wie lange und welche Abschläge haben Sie dadurch hinnehmen müssen? Mussten Sie wegen Corona die Tiere zu weiter entfernten Schlachthöfen liefern? War Ihr Betrieb von der Afrikanischen Schweinepest betroffen oder nicht? usw.
Ziehen Sie eine Klage in Betracht, wenn der Widerspruch abgelehnt wird.
Gibt es ähnliche Fälle außerhalb der Landwirtschaft?
Ja. Auch der Fußballverein Fortuna Düsseldorf sollte Coronahilfen zurückzahlen, weil der Umsatzrückgang angeblich nicht ausschließlich pandemiebedingt war. Das Verwaltungsgericht wies die Rückforderung ab – möglicherweise ein Präzedenzfall.
Was passiert nach Einlegen des Widerspruchs?
Ein Widerspruch hat aufschiebende Wirkung – ebenso eine Klage. Sie müssen das Geld also nicht sofort zurückzahlen. Zusätzlich gewährt die NBank eine Zahlungsfrist von sechs Monaten und bietet auf Wunsch eine Ratenzahlung an.
Wie viel Zeit habe ich für Rückfragen durch die NBank?
Laut NBank gilt im Bundesportal eine systemseitige Frist von 21 Tagen zur Beantwortung von Rückfragen zur Schlussabrechnung. Falls Sie diese Frist nicht einhalten können, sollte Ihr Steuerberater oder Rechtsanwalt dies gegenüber der NBank begründen. In solchen Fällen kann die Rückfrage erneut eingestellt werden – mit einer neuen 21-Tage-Frist.
Hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nicht versprochen, dass die Hilfen nicht zurückgezahlt werden müssen?
Aktuell sorgt eine Pressemeldung vom 10. März 2022 aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) für Aufsehen. Darin ging es um die Coronahilfen für Schweinehalter. Im letzten Satz heißt es: „Eine Rückforderung geleisteter Zahlungen ist ausgeschlossen.“ Einige Landwirte sehen daher in den Rückforderungen einen Verstoß gegen zuvor Versprochenes.
top agrar hat das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), das gemeinsam mit den Ländern für die Überbrückungs- und Härtefallhilfen zuständig war, gefragt, wie der Satz zu verstehen ist.
Laut BMWK konnten auch Schweinehalter gleich zu Beginn der Pandemie Überbrückungshilfen beantragen. Später kamen jedoch Zweifel auf, ob die Einbußen in der Schweinehaltung tatsächlich coronabedingt waren. Viele Länder setzten daraufhin die Bearbeitung der Anträge aus und baten das BMWK um Klarstellung. In Abstimmung mit dem BMEL und dem Bundesfinanzministerium wurde dann ein Konzept beschlossen: Überbrückungshilfen sollten nur Schweinehaltern mit ausschließlich coronabedingtem Umsatzeinbruch zustehen. Wer nur „weit überwiegend“ betroffen war, konnte stattdessen Härtefallhilfen beantragen – in der Regel jedoch auf maximal 100.000 € begrenzt.
Die Aussage in der Pressemitteilung bezog sich laut BMWK auf Betriebe, die Überbrückungshilfen zu dem Zeitpunkt bereits erhalten hatten und unsicher waren, ob sie wegen des neuen Konzeptes das Geld zurückzahlen müssen. Der Satz beziehe sich nicht auf die Prüfung der späteren Schlussabrechnungen. Denn diese basieren auf den tatsächlichen Zahlen und können zu Rückforderungen führen.
Auch Rechtsanwalt Dennis Hillemann von der bundesweit tätigen Kanzlei Advant Beiten dämpft die Erwartungen einiger Landwirte, dass der Satz im Nachgang noch Schützenhilfe leisten könnte: „Äußerungen von Bundesministern sind aus Sicht der Bewilligungsstellen rechtlich unbeachtlich. Die Abwicklung erfolgt auf Ebene der Länder – dort entscheidet das Verwaltungsverfahren. Die Aussagen von Bundesministern binden die Landesstellen nicht.“